Eichkater in Not oder die vergessene Nuss

Auf einem knorrigen Ast nahe am Stamm einer uralten Eiche hat ein junger Eichkater Zuflucht gesucht. Dort hockt er nun und beklagt sein Schicksal. Greint und weint bald laut schluchzend, dann wieder leise, in sich gekehrt. Von den Pinseln seiner Ohren bis hinunter zur buschigen Schwanzspitze bebt und zuckt sein kleiner, schlanker, rotbrauner Laib.

In all den Jahren, es werden wohl schon viele hunderte sein, in denen die Eiche ihren Platz auf dieser Lichtung behauptete, hat sie gar vieles erlebt. Verliebte Pärchen, die dem Rauschen ihrer Blätter lauschen und scheu den ersten Kuss sich geben; Bären, ihr Revier absteckend, die sich den Rücken an ihrer Borke reiben; wilde Schweine, die sich um die Eicheln balgen; Vögel, die sich auf ihren Zweigen wie Meistersänger streiten; aber solch ein Häufchen Elend, wie das jammernde Eichkätzchen, hatte sie bisher noch nie beobachtet - jedenfalls, soweit sie sich erinnern konnte.

Zumeist toben diese Nager flink flitzend durchs Blättergeflecht ihrer mächtigen Krone. Ob nun nur so zum Spaß oder auf der Suche nach den leckersten Früchten – gleichviel. Ihre messerscharfen Krallen, die sie dabei haltesuchend in die Borke schlagen, kitzeln die Eiche stets so arg, dass sie sich Eins ums andere Mal gern vor Lachen schütteln würde. Sie unterlässt es jedoch, weil die Sohlengänger womöglich von den Ästen fallen könnten. Geduldig gewährt sie ihnen Aufenthalt und erfreut sich an der kühnen Geschicklichkeit der kleinen Akrobaten.

"Kleiner Kerl", raschelt sanft die alte Eiche, "weshalb weinst du so Borke erweichend?"

"Ach", schluchzt das schlotternde Knäul,

"wer würde da nicht weinen. Bald kommt der kalte, eisige Winter, doch für mich gibt es dann nichts mehr zu fressen im Wald. Ich werde also sterben - ganz erbärmlich verhungern."

"Warum denn verhungern", entgegnet die Eiche, "hast du denn von all den vielen Nüssen, Eckern, den Zapfen und den Eicheln keinen einzigen Samen als Vorrat für den Winter beiseite getan?"

"Jede Menge hab ich gesammelt. Versteckt in Ritzen und Spalten, in Lücken und Mulden, in Fugen und Senken, in Gruben und Furchen - überall vergrub ich die leckere Nahrung ... Fleißig war ich und gewissenhaft. So wie's die Mutter von mir verlangte.


"Na, dann ist doch alles im Lot. Lass den Eisgrimm mit seinem Schneewerk doch kommen. Plagt dich der Hunger, dann holst du dir Speisen aus dem Versteck."

"Aber", plärrte der Eichkater verzweifelt los, "ich weiß doch gar nicht mehr wo!"

"Wie, du meinst, du hast sie vergessen - all deine Lager, die Plätze, Verstecke?"

"Ja, doch - ja! Ich hab sie vergessen. Alle vergessen und keinen Plan sie jemals wieder zu entdecken! All meine Schätze - für immer dahin!", heulte das Hörnchen, wie von Sinnen.

"Nun, soweit mir bekannt", schmunzelte wissend die Eiche galant, "ist ein Plan gar nicht nötig. Putz deine Nase und gib acht, was dein Geruchssinn dann mit dir macht ..."

Ein "Trompetenstoß" hallte laut durch den Hain. Zwei "Fanfaren" gleich hinterher. Nun endlich hatte der einströmende Duft freie Fahrt zu den Sinnen. Ein Lächeln verklärte Eichkaters Gesicht. Ein Ruck versetzte den Körper wieder in Spannung.

"Ja, aber ...", rief er überrascht aus, "das ist ja - das ist ja überwältigend ...

  Ich kann ja - ich kann ja die Gerüche alle einzeln erkennen."

"So ist es!", bestätigt die Eiche. "Jede der Speisen verströmt einen anderen Duft. 

 So kannst du sie leicht unterscheiden. Erschnupperst dir sozusagen, wo etwas

  zum Fressen verborgen liegt. Kein Grund also mehr, traurig zu sein und mit dem

  Sterben - na, da hast du noch Zeit. Bist doch jung und noch längst nicht soweit.

  Hier, nimm zur Stärkung die drei Eicheln. Sie geben dir Kraft, Weisheit und Mut.

  Kein Wald auf der Welt verschwindet deshalb. Es gibt noch reichlich Schwestern

  und Brüder davon. Ach ja, eins fällt mir noch ein. Solltest du doch einmal von all

  diesen Sämlingen einen vergessen - na, schau... Was glaubst du wohl woraus ich

  entstanden bin? Sozusagen  e r w a c h s e n ..."

Die Antwort klang fast wie eine Entschuldigung für den verursachten Verdruss:

"Aus einer Nuss?! Aus einer vergessenen Nuss?"

"Eichel, aus einer vergessenen Eichel", korrigierte belustigt die Eiche den Kater."



*  *  *



 Einst klein, unscheinbar und verletzlich, ist ein Sämling durch Zufall verborgen

 geblieben. Dann, im Frühling, mit dem Willen der Entschlossenheit, drang sein

 Keim durchs Erdenreich. Oben empfing ihn die wärmende Sonne, zog ihn hinauf

 ins Licht. Schnell verankerte er sich mit Wurzeln, daß keiner ihn rausreißen kann.

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Karin Quäckber,

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